Das Zwitschern der Vögel weckt das Kitz Tini an einem wunderschönen Morgen im Juli. Tinis Nase geht es schon wieder viel besser! Die vielen Kratzer, die das kleine Eichhörnchen Anna in seiner Angst bei dem schrecklichen Unfall hinterlassen hat, heilen schnell. Bald werden sie ganz verschwunden sein.
Das Kitz reckt und streckt sich und hört von draußen lautes Klopfen, Hämmern und Hobeln. Tini erhebt sich von ihrer Strohschlafstelle und stupst vorsichtig die Fensterläden auf. Die frische Luft und der Geruch nach Gras, Wiesenblumen und Holz steigen ihr in die Nase. Sie muss lächeln, denn sie mag diese Geruchsmischung – es riecht nach Sommer.
Draußen sitzt Hans und baut etwas Neues aus Holz. Tini nähert sich dem alten Mann mit dem struppigen langen Bart und den vielen Lachfalten und schaut ihm über die Schulter. Es sieht aus wie eine Futterkrippe und die Höhe wäre perfekt für Tini.
„Ist das etwa für mich?“, fragt das Kitz neugierig.
„Ja, natürlich. Ich möchte doch, dass es dir bald wieder besser geht. Zudem würde es mich freuen, wenn ihr vielleicht mehr Zeit hier verbringt. Eure Gesellschaft mag ich sehr. Es ist so schön, wenn jemand da ist. Es is oafoch schee!“
Tini kann gar nichts darauf antworten, sondern kuschelt sich nur fest an den alten Mann und lässt sich von ihm streicheln. Sie ist auch gerne in seiner Nähe und genießt die Fürsorge und Geborgenheit.
Am nächsten Morgen versammeln sich alle zum gemeinsamen Frühstück, und Hansei, wie die Tiere ihren neuen Freund nennen, lobt die Füchse Lois und Maxl, den Igel Gidi und die Uhu-Dame Christa für ihre Hilfe beim Bau der Futterstelle.
„Schuhu! Schon gut, schon gut, lieber Hansei“, sagt Christa. „Dank meiner Ratschläge ist der Bau ja auch gut gelungen.“
Alle freuen sich. Nun ja, zumindest fast alle, denn das Eichhörnchen Anna sitzt traurig in der Ecke. Tini stellt sich zu ihr hin und fragt: „Was ist denn los, mein liebes Schätzchen?“
„Jeder von euch hat geholfen, nur ich nicht, weil ich noch viel zu klein bin. Aber ich bin die ganze Zeit bei dir geblieben und habe schon lange nicht mehr mit meinen Freunden gespielt.“ Dann fängt Anna an zu weinen. „Hansei ist die ganze Zeit nur für dich da, während ich ganz allein bin. Das macht mich traurig. Ich verschwinde jetzt zu meinen Eichhörnchen-Freunden … die haben wenigstens immer Zeit für mich.“
Und schwupps ist Anna verschwunden. Ihr wisst ja, Kinder: Eichhörnchen sind sehr flink.
Hans hat alles beobachtet und gehört und macht sich nun Gedanken, wie er das hätte verhindern können. Schließlich haben doch alle das quirlige und nette Eichhörnchen sehr lieb. Er schläft in dieser Nacht sehr unruhig, wacht immer wieder auf und überlegt die ganze Zeit, was er für Anna tun könnte. Gegen Morgen endlich kommt ihm eine Idee.
Am Vormittag macht er sich auf ins Stadl, in die Innenstadt von Kitzbühel. Er muss für Anna etwas einkaufen gehen – aber pst! Das ist noch ein Geheimnis, Kinder, also seid gespannt.
Am Abend kehrt Hans mit einem großen Sack voller lustiger Dinge in die Holzhütte zurück. Das Kitz ist sehr neugierig und will natürlich wissen, was Hans mit dem Sack vorhat.
„Tini, ich bin so unheimlich müde von dem langen Marsch und dem Trubel im Stadl“, sagt Hans, während er seine Kleidung ablegt. „Ich muss jetzt sofort schlafen gehen. Aber ich verspreche dir, ich erkläre dir morgen alles ganz genau. Scheen tschnot’s und schlof guad!“
Und schon fallen ihm die Augen zu und er fängt an, laut zu schnarchen.
Am nächsten Morgen zeigt Hans den Tieren, was er in seinem Sack mitgebracht hat. Das Eichhörnchen schläft währenddessen in einem kleinen Loch hoch oben im Baum und bekommt – Gott sei Dank – davon gar nichts mit. Anna hat am Tag zuvor lange mit ihren Freunden gespielt, bis sie schließlich völlig erschöpft heimgekommen ist.
„Ha, ich weiß, was Hansei vorhat!“, ruft der schlaue Fuchs Lois sofort beim Anblick der Dinge im Sack, doch der kleine, dicke Igel Gidi kann nichts mit dem Inhalt anfangen. Aber er findet den Sack schön bunt und rollt sich darauf zu einem Igelball zusammen. Hans streift seine dicken Handschuhe über und hebt den Igel sanft wieder herunter. Die Handschuhe sind wirklich notwendig, denn Gidi stachelt sehr.
Hans fängt an zu basteln, während Christa neben ihm sitzt und ihm gute Ratschläge gibt. Immerhin ist sie eine erfahrene Uhu-Dame, und diesmal sind es Näharbeiten, die Hans machen muss. Damit kennt sich Christa bestens aus.
Mittags sind die beiden fertig. Sie haben eine kunterbunte Tragetasche für Anna gebastelt, die das Eichhörnchen überallhin mitnehmen kann. Die Tasche hat viele Fächer: ein großes für Haselnüsse, eines für Früchte und noch einige andere für Annas Lieblingsspielsachen. Wenig später kommen die Füchse Lois und Maxl mit vielen Haselnüssen um die Ecke, denn ihr Auftrag war es, für den Inhalt der neuen Tragetasche zu sorgen.
Wurzel Hans verpackt die Tasche noch rasch als Geschenk, dann versammeln sich alle und rufen nach dem Eichhörnchen: „Anna! Anna, wach auf!“
Nach einigen Sekunden schaut Anna ein wenig verschlafen aus ihrem Loch im Baum – und traut ihren Augen nicht.
„Komm runter, Anna!“, ruft Hans nach oben. „Wir haben hier etwas für dich!“
Anna ist sofort putzmunter, saust in Windeseile kopfüber den Baum hinab und packt ihr Geschenk aus. Sie freut sich riesig, hüpft Hans auf die Schulter und gibt ihm ein Küsschen.
„Danke schön, Hansei! Vielen Dank, Christa! Und danke an euch alle!“, sagt Anna. „Ich laufe jetzt gleich los zu meinen Freunden. Das müssen sie sehen! So eine tolle Tasche hat kein anderes Tier hier im Wald. Und diese Farben! Wisst ihr, was meine Lieblingsfarbe ist?“
Alle lachen und erwidern im Chor: „Bunt ist deine Lieblingsfarbe!“
„Ja, richtig“, sagt Anna und strahlt über das ganze Gesicht.
Als das kleine Eichhörnchen fröhlich davonhüpfen möchte, springt Tini hinterher. „Halt, warte auf mich! Ich bin wieder gesund und komme heute mit dir zu deinen Freunden mit“, sagt das Kitz. „Ich möchte den ganzen Tag bei dir sein und mit euch zusammen spielen.“
Anna freut sich sehr und springt hurtig auf Tinis Rücken. Dann laufen die beiden Richtung Wiese, wo die anderen Eichhörnchen bereits auf Anna warten. Wenig später gesellen sich auch noch der Igel Gidi und die beiden Füchse dazu. Das wird ein toller Tag! Anna trägt voller Stolz ihre kunterbunte Tasche und die anderen Eichhörnchen beneiden sie etwas darum.
Als es am nächsten Morgen, die Vögel zwitschern wieder ganz laut, an seiner Tür klopft, fällt Hans vor Schreck fast aus dem Bett. Schnell schlüpft er in seine Hosen und geht zur Tür. Davor sitzen ganz viele Eichhörnchen. Sie fragen Wurzel Hans, ob er ihnen auch solche tollen Taschen nähen kann.
„Nun, ihr Lieben, das geht aber nicht so schnell. Ich muss erst wieder ins Stadl gehen. Aber bis der Herbst kommt und ihr Vorrat für den Winter sammelt, werde ich es sicher schaffen.“
Die Eichhörnchen bedanken sich und nehmen Anna mit zum Spielen hinter dem alten Baum. Die Eiche schließt ihre Blätter zu einem schützenden Dach gegen die Sonne und pfeift glücklich ihr Lied. Und die Tiere genießen den Schatten an diesem heißen Sommertag im Juli.