Es ist September und der Sommer neigt sich dem Ende zu. Hans hat abends oft an den Tragetaschen für die anderen Eichhörnchen gearbeitet. Sie sind zwar noch nicht alle fertig, aber bis der Herbst endgültig Einzug hält, wird er es schaffen – schließlich hat er es ihnen versprochen. Das Kitz Tini sitzt dabei meistens neben ihm und die beiden erzählen sich Geschichten und lachen viel miteinander.
Rund um das wunderschöne Altholzhäuschen herrscht reger Betrieb. Viele Tiere kommen, um Hansei und das Kitz zu besuchen. Tini freut sich sehr darüber und spielt mit den anderen Tieren. Das Kitz fühlt sich außerordentlich wohl bei Wurzel Hans und mag den alten Mann mit den wachen Augen und den tiefen Lachfalten sehr.
Hans verbringt auch viel Zeit mit den Füchsen Lois und Maxl. Die beiden sind ungemein fleißig und ständig mit irgendetwas beschäftigt: Sie graben neue Fuchsbaue, errichten Brücken über den Bach oder sichern die Pfade der Tiere durch das Unterholz. Hans hilft ihnen dabei und packt richtig an. Er schleppt die schweren Baumstämme, setzt und jätet Sträucher und verdichtet die Erdmasse, damit nichts abrutschen kann.
Abends versammeln sich alle vor dem Holzhäuschen, sitzen beieinander und berichten von ihren Erlebnissen des Tages. Der alte Baum schützt die Freunde mit seinem Blätterdach vor der Kühle der Septembernächte. Hans, das Kitz Tini, der Igel Gidi, die Füchse Lois und Maxl, das Eichhörnchen Anna und die Uhu-Dame Christa, alle sitzen sie beieinander, kuscheln, erzählen, essen, trinken, und bevor sie schlafen gehen, pfeift die große Eiche ihr Lied und alle stimmen ein.
Gidi ist gerne mit seinen Freunden zusammen. Bei ihnen fühlt er sich wohl, weil alle freundlich zu ihm sind und mit ihm spielen. Ihr wisst ja, Kinder, dass der kleine Igel Gidi manchmal von den anderen Tieren auf der Wiese ein bisschen geärgert wird, weil er etwas dicker ist. Das ist ganz schön gemein und verletzt seine Gefühle. Gidi ist allerdings auch wirklich eine lustige Igelkugel mit seinen Stacheln, die nicht so spitz sind wie bei anderen Igeln, sondern eher wie dicke Borsten aussehen.
Dazu kommt noch, dass sich Gidi ständig in die schönen und flinken Eichhörnchendamen verliebt. Er möchte immer besonders cool wirken und stolpert dabei manchmal über seine eigenen Füße, redet unzusammenhängendes Zeug oder wirkt sogar ein bisschen arrogant – weil er doch so unsicher ist. So kommt es, dass die Eichhörnchendamen ihn oft auslachen. An manchen Tagen ist es wirklich schlimm, und zwar immer dann, wenn er der schönen Klara begegnet. Die findet Gidi nämlich ganz besonders hübsch, obwohl sie nicht mal nett zu dem kleinen Igel ist.
„Klara, weißt du eigentlich, dass ich der beste Nüssesammler der ganzen Wiese bin?“, fragt Gidi die schöne Eichhörnchendame, als er sie eines Septembermorgens wieder einmal zufällig auf der Wiese trifft.
„Soso, ausgerechnet du, Gidi, willst schneller sein als wir? Schneller als ich?“
„Ähh … ja, ja natürlich – ich bin nämlich der Besteste überhaupt!“
„Aha, der Besteste.“ Klara lacht laut auf. „Das ist ja nicht mal ein richtiges Wort. Du kannst einfach gar nichts richtig, Gidi!“, fügt das Eichhörnchen hinzu und verschwindet flink über die große Wiese auf einen Baum.
Gidi will sich das selbstverständlich nicht gefallen lassen und läuft Klara hinterher, aber dabei stolpert er mehrmals hintereinander und hat nach einer halben Stunde immer noch nicht den Baum erreicht, den Klara zuvor hinaufgeklettert ist. Die sitzt mit ihren Freundinnen in den Ästen und hat schon Tränen in den Augen vor lauter Lachen.
„Jetzt reicht es!“, sagt sich Gidi, dreht wenige Meter vor dem Baum um und trottet niedergeschlagen in Richtung des Häuschens, in dem Hans und das Kitz Tini wohnen.
Völlig erschöpft kommt der kleine Igel am Abend bei den beiden an und teilt Hansei seine Sorgen mit.
„Herrschafts…! Das ist nicht besonders gut, Gidi“, erwidert Hansei. „Aber wolltest du uns denn nicht heute beim Bau des neuen Dammes beim Bach helfen? Alle haben sich auf dich verlassen, Gidi – und du bist mit den Eichhörnchendamen beschäftigt, obwohl die so gemein zu dir sind! Wos mochst denn?“
Hans ist wegen Gidis Unzuverlässigkeit zwar ein bisschen verstimmt, aber er hat natürlich auch Mitleid mit dem traurigen kleinen Igel. Denn wisst ihr, Kinder, Gidi hat eigentlich ein richtig gutes Herz und will jedem helfen. Er ist einfach nur ein bisschen ungeschickt bei allem. Er ist langsam und unbeholfen, würde aber so gerne überall dabei sein und wünscht sich nichts anderes, als von allen geliebt zu werden.
Hans streift sich seinen dicken Arbeitshandschuh über, streichelt dem kleinen Igel über die Borsten-Stacheln und füttert ihn mit leckeren Beeren.
Auch Tini hat bereits von den Vorfällen am Tag gehört und macht sich zahlreiche Gedanken. Sie möchte nicht, dass irgendjemand ausgegrenzt oder gehänselt wird. „Hansei, wir müssen uns etwas einfallen lassen“, meint das Kitz. „Das kann doch so nicht weitergehen!“
„Ja, da hast du schon recht, Tini“, erwidert Hans. „Aber was sollen wir tun? Ich glaube nicht, dass wir Klara überreden können, netter zu Gidi zu sein. Herrschafts…! Do muaß wos passier’n!“
„Also gut, Hansei, wir teilen uns auf“, schlägt Tini vor. „Ich selbst werde mit Klara sprechen, und du überlegst dir etwas, wie wir den jungen Igel schneller und sicherer laufen lassen können.“
„Du hast recht – und ich habe da auch schon eine Idee“, antwortet Hansei geheimnisvoll.
Am nächsten Morgen steht Hansei sehr früh auf und kramt allerlei Dinge aus dem kleinen Schuppen hervor, den er neben seinem Häuschen errichtet hat. Nur gut, dass ich immer alles aufbewahre, denkt sich der ehemalige Zimmerermeister. Zwei Holzräder, ein Lenker, eine Klingel, ein Brett und zwei Stege, jede Menge Schrauben und Muttern und eine Tube Holzleim liegen bereit. Na, was denkt ihr, Kinder – was könnte das wohl werden?
Neugierig kommt Tini angelaufen. „Was baust du denn da, Hansei?“
„Das wird ein Roller für Gidi, damit unser kleiner Igel bald schnell und ohne Anstrengung von der Wiese zum Holzhäuschen kommt. Warte nur ab, Tini – die Eichhörnchendamen werden ihn dann nicht mehr auslachen, sondern bewundern und ihn richtig cool finden. Außerdem nimmt Gidi bestimmt ein bisschen ab, wenn er Sport treibt und Roller fährt.“
Hansei baut ohne Pause bis zum Abend, dann ist er fertig. Als Gidi zum Holzhäuschen kommt, kann er sein Glück kaum fassen. Seine Äuglein strahlen. „Danke, Hansei! Du bist der Tollste, der Beste und mein allerliebster Freund auf der Welt.“
Ganz vorsichtig steigt er auf den Roller, denn das hat er zuvor ja noch nie probiert. Und hui – ab geht die Fahrt, immer rund um das Holzhäuschen. Alle freuen sich mit Gidi.
Plötzlich sitzt sogar Klara auf einem Ast im Baum und schaut dem Igel zu. Als der Igel das hübsche Eichhörnchen entdeckt, bleibt er abrupt stehen und strahlt Richtung Baum hoch. „Siehst du Klara, ich bin doch der Schnellste.“
„Hör zu, Gidi …“, beginnt Klara zögerlich. „Tini hat mit mir gesprochen … Ich wollte deine Gefühle nicht verletzen und ich verspreche dir, ich werde dich nicht mehr auslachen. Das war nicht richtig. Und ja, es tut mir leid.“
„Ach, Klara, ich könnte dir ohnehin niemals böse sein. Willst du auf meinem Roller mitfahren?“
„Nein, danke – ist aber wirklich nett von dir.“ Und schon ist Klara wieder verschwunden.
Normalerweise wäre Gidi jetzt gekränkt, aber er hat eine Riesenfreude mit dem Roller, sodass er es schnell vergisst.
Am nächsten Morgen fährt Gidi mit den beiden Füchsen und Hansei in den Wald und hilft wie versprochen beim Bau des neuen Dammes. Dabei kommen sie auch an der Wiese mit den Eichhörnchendamen vorbei, denen vor lauter Staunen die Nüsse aus den Mäulchen fallen. Gidi ist stolz und irrsinnig glücklich.
Maxl und Lois zwinkern sich heimlich zu. Die beiden Füchse wissen, dass das mit den Eichhörnchendamen trotzdem nichts werden wird – aber das müssen sie dem kleinen Igel jetzt wirklich nicht sagen. Eines Tages wird sicherlich ein hübsches Igelmädchen auftauchen und Gidi wird sich in die Richtige verlieben. Bis dahin aber wird der kleine Igel mit seinem Roller auf der Wiese und im Wald fröhlich seine Runden drehen und mit seinen Freunden spielen und Dinge bauen.
Nachts schläft Gidi jetzt immer richtig gut. Er muss sogar oft im Schlaf grinsen, wenn er von seine Abenteuern träumt, und Wurzel Hans und das Kitz Tini freuen sich für ihn mit.